So vertreibt Lesen deinen Stress
Lesen ist gut für dich. Wenn du regelmässig lange aufbleibst, um die Seiten deines Romans zu verschlingen, beinahe deine Haltestelle verpasst, weil dein Krimi so kurz vor der Auflösung steht, und dein Name auf dem Bibliotheksausweis schon fast verblasst ist, ist dir das wahrscheinlich ohnehin klar. Doch was dich vielleicht überraschen wird, ist, dass Lesen nicht nur klüger macht – sondern dich auch ruhiger machen kann.
„Seit Langem ist bekannt, dass Lesen uns hilft, zu entspannen“, sagt die New Yorker Psychologin Dr. Jephtha Tausig: „Tatsächlich wird ruhiges Lesen häufig direkt vor dem Schlafengehen empfohlen, denn es bereitet unser Gehirn darauf vor, für den Schlaf herunterzufahren.“
Betrachten wir dazu die Forschung: Für eine im Journal of Teaching and Learning publizierte Studie wurden Hochschulabsolventen beobachtet, die sich zur Stressreduzierung jeweils 30 Minuten lang mit Lesen, Yoga oder Humor beschäftigen sollten. Dabei wurde die Stressreduzierung jeweils durch eine Standardbefragung sowie Messungen von Herzfrequenz und Blutdruck ermittelt. Das Ergebnis: Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass alle drei Tätigkeiten gleich effektiv waren.
Das Lesen eines Romans ist also für die Senkung von Stress genauso nützlich wie Yoga? Das ist doch mal ein interessanter Befund! Lies hier alles über die Macht des Lesens!
Die beruhigende Wirkung des Lesens
Lesen zwingt dich dazu, ruhig zu sein.
Schon dadurch, dass du sitzt oder liegst und ein Buch liest, gelangt dein Körper in einen Ruhezustand. Körperliche Ruhe (immerhin lässt sich schlecht lesen, während man im Haus herumwuselt!) beschwört innere Ruhe herauf, sagt Tausig, weil die Muskeln die Möglichkeit bekommen, ihre Spannungen zu lösen.
Lesen kann eine Art der Meditation sein.
Lesen sorgt dafür, dass wir unsere Gedanken auf das konzentrieren, was gerade direkt vor uns liegt, erklärt Dr. Steven Levine, Facharzt für Psychiatrie sowie Gründer und CEO von Actify Neurotherapies: „Indem die Teile des Gehirns beschäftigt werden, die erforderlich sind, um Wörter zu lesen, das Thema zu verstehen und den Bezug zu eigenen Erlebnissen herzustellen, kann Lesen den Stress sozusagen ,verdrängen‘.“ Oder kurz: Wenn du dich in einer Geschichte verlierst, kann das für ein Gefühl meditativer Ruhe sorgen.
Lesen kann Ängste abbauen.
Wenn du ganz in eine kurzweilige Geschichte eintauchst, passieren zwei Dinge: Zum einen verlassen deine Gedanken die Endlosschleife aus Sorgen über Dinge in deinem Leben, über die du keine Kontrolle hast (beispielsweise Arbeitsbelastung, finanzielle Sorgen, Probleme mit Kindern oder in der Familie). Und zum anderen eröffnet sich dir ein ganz neues Szenario an Menschen und Orten, über die du nachdenken kannst. Vielleicht entdeckst du auch, dass dir das Lesen eines Romans über jemanden, der ein Problem überwunden hat, das dich besorgt, hilft, dich zu beruhigen und dir ein Gefühl der Kontrolle vermittelt. Im allermindesten Fall jedoch sind während der Zeit, in der man tatsächlich liest, „die Gedanken befreit von dem, was einem Sorge bereitet“, sagt Tausig.
Lesen senkt Blutdruck und Herzfrequenz.
Wenn du gestresst bist, reagiert dein Körper physiologisch und Blutdruck und Herzfrequenz steigen. Allein schon die Tätigkeit des Lesens senkt häufig diese körperlichen Reaktionen: „Sie atmen automatisch langsamer, wenn Sie lesen“, so Tausig, und dadurch verlangsamt sich die Herzfrequenz und die Blutgefässe entspannen sich, sodass das Blut leichter zirkulieren kann.
Und so machst du das meiste aus deinem Leseerlebnis:
Wähle Bücher, die dich wirklich ansprechen. Natürlich kann eine Lektüre über Achtsamkeit, Stressreduzierung oder andere Themen der Selbstentwicklung Stress lindern, doch das mag nicht für jeden das Richtige sein, sagt Dr. Levine. Vielleicht ist es auch ein Buch mit spirituellen oder inspirierenden kleinen Texten, in dem du am liebsten liest, oder einfach die neueste Folge einer Reihe von Strand- oder Liebesromanen. Andere lassen sich gerne ablenken, indem sie in die Geschichte oder in Biografien eintauchen. Und auch wenn es ungewöhnlich klingt, findest du vielleicht sogar spannende Thriller oder Kriminalgeschichten auf seltsame Art beruhigend.
„Die persönliche Vorliebe sollte den Ausschlag geben, welchem Lesestoff Sie sich zuwenden, auch wenn es natürlich naheliegt, wirklich grausame oder beängstigende Themen zu vermeiden“, so Tausig. Falls du dir nicht sicher bist, experimentiere am besten mit verschiedenen Arten von Lesestoffen. Ob lang oder kurz: Du solltest dir auf jeden Fall genügend Zeit geben, um wirklich in dein Buch einzutauchen (bzw. – falls du gerade mitten in einem Buch steckst – erneut einzutauchen), damit die stresssenkenden Vorteile zur Geltung kommen.
Lesen ist ein idealer Genuss – es verursacht keine Schuldgefühle, enthält keine Kalorien und ist sogar, wenn du eine Bibliothek nutzt, gratis – und eine hervorragende Möglichkeit, um Stress zu reduzieren.
Spielt es eine Rolle, ob ich auf einem Bildschirm lese?
Das Lesen auf einem Bildschirm ist ein deutlich anderes Erlebnis. „Bildschirme emittieren ein pulsierendes, blaues Licht, das unser Gehirn anregt“, erklärte Tausig. Daher mag sich zwar der gleiche Nutzen einer Flucht aus dem Alltag durch das Lesen einstellen, aber nicht derselbe beruhigenden Effekt, der daraus resultiert, dass sich unsere Augen über eine Seite bewegen. Möglicherweise kommt es also beim nächtlichen Lesen auf dem Bildschirm anschliessend zu mehr Schlafproblemen, warnt die Psychologin. (Wenn du unter Schlaflosigkeit leidest oder generell an guter Schlafhygiene interessiert bist, schalte am besten sämtliche Bildschirme mindestens 30 bis 45 Minuten vor dem Einschlafen aus.)